Heute unterscheiden die meisten Wissenschaftler sieben Weltreligionen. Die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung lässt sich zu einer dieser Religionen zuordnen und praktiziert den damit verknüpften Glauben, mehr oder weniger aktiv. Es ist erstaunlich wie stark ich selbst, durch den in Deutschland vorherrschenden christlichen Glauben, geprägt wurde. Obwohl ich grundsätzlich konfessionslos aufgewachsen bin und damit Religion nie ein präsentes Thema in meiner Kindheit war. So finden sich zum Beispiel im deutschen Sprachgebrauch viele Redewendungen aus der Bibel wieder, welche man ohne nachzudenken alltäglich benutzt. Es stehen einem beim Nachforschen oft die Haare zu Berge (Hiob 4,15).
Mich selbst zähle ich am ehesten zu der Minderheit der agnostischen Atheisten. Ich habe zwar keinen konkreten Glauben an einen Gott, ich behaupte jedoch im Gegenzug auch nicht, dass keine Gottheit existiert. Damit sind wir bei dem Punkt: Wer oder was ist Gott? Abgesehen von der klassischen Definition, wie z.B. Lenker des Schicksals, kann man sich vorzüglich mit dieser Frage in so viele kleine Feinheiten verstricken. Ich persönlich bin der Meinung, am Ende beschreiben doch irgendwie alle Religionen, ein und dasselbe. Es gibt die eine, wie auch immer geartete, Quelle. Da wo alles herkommt und alles (vor)bestimmt wird. Wie sage ich immer so gern: Alles passiert genauso, wie es passieren muss. Wir sind nur die Statisten in dem Film, der gespielt wird. Ohne Chance irgendetwas zu beeinflussen. Es fängt ja schon bei unseren Gedanken an. Selbst bekennende Atheisten bemerken oft, dass es da etwas gibt, was außerhalb ihrer direkten Zugriffskontrolle geschieht. Der freie Wille ist ein Irrtum. Um diesen Umstand irgendwie erklärbar zu machen, gibt es Religionen und die Vorstellung von Göttern.
Einige glauben an einen einzigen (personifizierten) Gott. Andere haben sogar mehrere Götter. Männlich oder weiblich, der Fantasie sind kaum Grenzen gesetzt. Das ist im Grundsatz noch kein Problem. Es wird aber zu einem ernsten Problem, wenn dazu die universelle/absolute Wahrheit ins Spiel kommt. Wenn davon ausgegangen wird, dass nur die (m)eine Religion die Richtige ist. Missionierungsgedanken sind die logische Konsequenz. Hexenverbrennungen und Terrorismus werden nachvollziehbar. Menschen werden zu Marionetten. Einige sogar zu Waffen. So schön es sein kann, sich einer Gemeinschaft zugehörig zu fühlen und ein gemeinsame Ziel verfolgen zu können, so gefährlich kann dies aber auch sein. Je nachdem welche Ziele definiert werden und von wem!
Theologen in höheren Ämtern bemerken natürlich sehr schnell, dass vieles von dem was in Ihrer Kirche an Strukturen erschaffen wurde nur dazu dient, um Menschen zu kontrollieren. Um möglichst viele Egos an sich zu binden. Mit dem so menschlichen Ziel, Reichtum und Macht zu erlangen. Einmal an dieser Position angelangt, ist es schwierig sich diesem Sog zu entziehen. Im Prinzip unterscheidet sich da der Topmanager aus der Wirtschaft, oder auch der Politiker im Bundestag, kaum von einem Bischof. Man mag vielen Pfarrern noch unterstellen, sie handeln idealistisch. Aber ich bin mir ziemlich sicher, dass der Papst mit seinen Kardinälen ganz offen diskutiert, wie man die Sache mit der Empfängnisverhütung weiter verkaufen kann, ohne seine Aktionäre zu verschrecken. Am Ende sind Kirchen ganz banale, große wirtschaftliche Organisationen, die untereinander in direkter Konkurrenz stehen. In Deutschland werden die höchsten Würdenträger der christlichen Kirchen sogar aus Steuermitteln bezahlt. Dies verdeutlicht die historisch aufgebaute Machtstellung, innerhalb unserer Gesellschaft.
Aber diese Stellung bröckelt seit einiger Zeit akut. Hier in Südamerika kann man sehr gut beobachten, wie die vorherrschende katholische Kirche langsam in Nöte gerät. Mit auf die heutige Gesellschaft zugeschnittenen Angeboten und mit modernen Konzepten, punkten hier vermehrt die evangelischen Freikirchen. Wie Pilze sprießen neue Gemeinden aus dem Boden. Ein einträgliches Geschäft, mit einer oft sehr dankbaren und treuen Kundschaft. Moscheen in Rio zählen vielleicht auch bald zum Stadtbild, wenn sich die islamische Vertriebsabteilung noch etwas mehr auf den Markt hier einstellt.
Ich verbreite gern die These, je schlechter es um den Zustand einer Gesellschaft bestellt ist, umso empfänglicher ist diese für (neue) religiöse Gemeinschaften und deren Ideen. Dieser schlechte Zustand einer Gesellschaft hat dabei nicht unbedingt ausschließlich etwas mit wirtschaftlichen Aspekten zu tun. Wo Angst und Tod den Alltag bestimmen, suchen die Menschen Trost im Glauben. Eine allgemeine soziale Verarmung, wie man sie heute vermehrt auch in westlichen Ländern vorfindet, ist dabei ebenfalls nicht zu unterschätzen. Letztere Erkenntnis wuchs in mir verstärkt in den vergangen fünf Jahren heran. Früher hatte ich da eher historische Beispiele, wie die Kolonialzeit und die damit zeitgleich erfolgende Christianisierung im Kopf. Heute kann man den IS als aktuellen Beweis für meine These heranziehen. Auch in Europa rufen islamistische Organisationen zum Daʿwa.
Sie finden dabei erstaunlich viele begeisterungsfähige Egos direkt aus der Mitte unserer Gesellschaft. Aus dieser immer noch im Kern sehr christlich geprägten Gesellschaft. Aus Deutschland. Als Verlierer werden diese Personen oft belächelt. Niemand hat sich um sie gekümmert. Kümmern wollen, oder kümmern können. Weder die Kirche, noch die Politik. In der rechten oder linken Szene gibt es auch kaum Aussicht auf eine wirkliche Besserung. Doch plötzlich ist da ein Licht am dunklen Himmel. Sie sind auf einem völlig anderen Weg. Die neue Gemeinschaft trifft ihren Nerv. Sie können doch noch zum Gewinner werden.
Dank Gott!?