Wer bin ich?

„Wer bin ich – und wenn ja, wie viele?“

Mit diesem Buchtitel hat Richard David Precht vor einigen Jahren meine Aufmerksamkeit auf sich und sein Buch gezogen. Rein inhaltlich ist das Buch am Ende ein kurzweiliger Überblick über Philosophie im Allgemeinen und beantwortet die gestellte Frage in keinster Weise. Es hat mich jedoch neugierig gemacht und mich auf die Suche gebracht, nach Antworten auf diese wirklich verdammt interessanten Fragen: Wer bin ich? Wer bist Du? Wer sind wir?

Die Antwort habe ich mittlerweile gefunden und kann sie an dieser Stelle ruhig schon vorwegnehmen: Wir alle sind nur Geschichten. Manchmal sind sie fröhlich, manchmal sind sie traurig. Wir bauen uns unsere Welt so vielschichtig auf, es ist unglaublich was es da nicht alles gibt. Wir himmeln politische Führer an und es gibt Musiker und Schauspieler, welche allein mit Ihrer Anwesenheit Massen von uns in Ektase versetzen können. Sogar Religionen haben wir erfunden. Das alles am Ende wohl nur, um dem Sein als solches einen tieferen Sinn zu geben.

Du bist Deutscher.

Wie kam es dazu und was genau kann man mit diesem Umstand anfangen?

Du bist Vater.

Hat dich nicht erst die Geburt deines Kindes dazu gemacht, was warst du davor?

Du bist Martina.

Dein Name wurde dir beigebracht, als du das Sprechen gelernt hast, wer warst du als Baby?

Du bist Christ.

Warum gibt es den Islam, den Buddhismus und viele andere Glaubensrichtungen?

Wir bekommen im Laufe unseres Lebens so viel erzählt, was wir doch alles sein sollen. Und oft hinterfragen wir das nicht mal. Sogar „schwarze Schafe“ gibt es in vielen Familien. Das Gehirn gewöhnt sich an so viele Denkmuster und diese zu durchbrechen ist verdammt schwierig. Einige merken irgendwann, dass Ihre persönliche Geschichte sonderbar klingt. Wieso und weshalb wird leider oft nicht weiter hinterfragt. Andere finden Ihre persönliche Geschichte wiederum so toll, dass sie fieberhaft versuchen die ganze Welt von den dort vorkommenden „Wahrheiten“ zu überzeugen. Und am Ende sterben wir alle irgendwann. Und mit uns, diese vielen teils merkwürdigsten, individuellen Geschichten. Teile der Geschichten werden von Generation zu Generation weiter gegeben, aber irgendwann verlieren sich auch diese Dinge. Vor 500 Jahren wurden Könige in Deutschland geboren, heute wählen wir demokratisch Politiker. Mädchen wurden damals mit 13 Jahren verheiratet, seit 1977 dürfen Frauen ohne Zustimmung des Ehemanns eine eigene Arbeit aufnehmen. Langsam aber stetig geht es voran und so verschwinden teilweise auch Religionen und an anderer Stelle werden sich komplett neue Dinge ausgedacht. Vielleicht leben in 500 Jahren Männer unterdrückt und das fliegende Spaghetti-Monster ist eine Weltreligion. Wie dem auch sei, all das lenkt nur ab von dem, was wir wirklich sind.

Überprüfen wir doch einmal, woher unsere eigenen Gedanken überhaupt kommen. Bin ich der Denker meiner Gedanken, oder kommen Gedanken einfach so?

Es gibt einige Menschen, die können mittels Meditation ihren Gedankenstrom kurzzeitig unterbrechen. Habe ich auch alles durch, ist eine tolle Sache und hilft zu entspannen. Kann man nach stressigen Tagen bedenkenlos empfehlen, genauso wie Yoga und viele andere Dinge. Jedoch, niemand kann sich jemals gänzlich frei machen von Gedanken. Vielleicht eine Minute, meinetwegen sogar fünf Minuten. Aber irgendwann sprudeln wieder Gedanken in den Kopf. Keine Chance es zu stoppen! Wenn wir nun also nicht die Denker unserer Gedanken sind und im Alltag keinerlei Einfluss darauf haben, wann und weitergehend sogar, welche Gedanken kommen, wer sind wir dann eigentlich? Sind diese Gedanken immer richtig, oder könnten sich da nicht auch falsche Gedanken befinden? Unglücklicherweise lösen Gedanken oft auch Emotionen aus, auch dagegen können wir nichts tun. Wir denken ununterbrochen. Den ganzen Tag.

Besonders beliebt ist es, an die Vergangenheit oder an die Zukunft zu denken. Daraus formt sich dann unter anderem unser Ich-Bild. Würdest du auch weiterhin existieren, wenn du deine Gedanken an die Vergangenheit urplötzlich verlieren würdest? Ist diese vergangene „Geschichte“ notwendig, dass du jetzt und hier existierst?

Wer bin ich, ohne meine Vergangenheit?

Was ist, wenn mein Partner mich in einem Jahr verlässt? Ein schrecklicher Gedanke, der aber eigentlich rein gar nichts mit deinem jetzigen Dasein zu tun hat, oder doch? Du begehrst ihn genau in diesen aktuellen Moment, wer sagt dir, dass nicht du selbst in 2 Wochen jemanden anderen kennen lernst und dich vielleicht trennen wirst?

Wer bin ich, ohne meine Zukunft?

Am Ende sind  Vergangenheit und Zukunft „nur“ Gedanken die in unseren Kopf kommen. Diese haben aber rein gar nichts mit dem zu tun, was gerade in diesem Augenblick um uns geschieht. Ohne Vergangenheit und Zukunft existiert man einfach, sie sind nicht notwendig zum Dasein. Wenn man sich dessen bewusst wird, dann kommt man der Antwort auf die Frage „Wer bin ich?“, Stück für Stück, immer näher. Wenn jemand buchstäblich „seinen Verstand“ verliert, dann ist dies wohl eine extreme Form dieses „sich bewusst werden“, dass man nicht die Person (das Ego) ist, die man bisher glaubte zu sein. Sondern man einfach nur eine Geschichte ist. Eine Geschichte an der fortlaufend neu geschrieben wird. Man selbst kann aktiv nichts zu dieser Geschichte beitragen, nur beobachten. Das Ego wird an den verschiedenen Stellen der Geschichte weiterhin Lachen und Weinen, doch das „Ich“ bleibt davon unberührt.

Neulich las ich ein interessantes Interview mit Reinhold Messner, er sollte sich über seine letzten 24h im Leben Gedanken machen. Und auch er scheint im Laufe seines Lebens zu der gleichen Erkenntnis gekommen zu sein wie ich. Ick meld ma!

Ich habe keinen Glauben, denn ich
weiß, dass ich keine Ahnung habe. Alle
Religionen mit ihren Göttern sind von
uns Menschen erfunden worden. Wenn
die Menschheit verschwindet, werden
mit ihr alle Götter verschwinden. Eine
göttliche Dimension, die wir weder greifen
noch begreifen können, entzieht sich
unserer Vorstellung. Damit sage ich nicht,
dass es nichts Göttliches gibt. Ich bin Possibilist.
Ich lasse die Frage für mich offen.
Nichts katapultiert uns so sehr in
diese andere Welt, die das Jenseitige repräsentiert,
wie das Unterwegssein in der
Wüste. Raum und Zeit lösen sich dort im
Unendlichen auf. Für mich hat der Tod
keinen tieferen Sinn, er gehört zur Menschennatur.
Ich brauche auch keinen
Trost im Diesseits für das Jenseits. Am
Ende dämmern wir weg, und unser Bewusstsein
schwindet. Bis es verschwunden
ist.

(Quelle: Cicero Ausgabe 10/2016)

2 Kommentare

  1. Freidenker Peter

    „Überprüfen wir doch einmal, woher unsere eigenen Gedanken überhaupt kommen. Bin ich der Denker meiner Gedanken, oder kommen Gedanken einfach so?“

    Die Gedanken sind (vermutlich) die individuelle Reflexion einer uns transzendenten Wirklichkeit.
    Wie ist das zu Verstehen? Vergleichbar vielleicht mit der Beschreibung einer Reflexion darunterliegender Wahrnehmungsorgane:

    Mittels Augen+Sehnerven wird im Sehzentrum des Gehirns eine subjektive Reflexion der Außenwelt erzeugt. Die von Objekten der Außenwelt reflektierten elektromagnetischen Wellen (davon nur ein spektraler Ausschnitt!) werden auf der Netzhaut abgebildet und elektro-chemisch ins Gehirn geleitet. Dort erzeugt unser neuronales Netzwerk die Informationen über die Außenwelt, die unser Überleben darin erleichtern sollen. Alles nicht ganz fehlerfrei (Stichwort „optische Täuschungen“) und nicht wirklich objektiv, aber immerhin.
    Die Informationsbasis dafür ist das Strahlungspotenzial der Sonne, das unseren Planeten überflutet und überall existiert. Die Evolution nutzte das immer und überall vorhandene Licht zur langsamen Entwicklung von Augen und Sehzentrum (eine Jahrmilliarden lange währende Entwicklung!).
    Also, zuerst gab es Licht, später erfolgte damit eine individuelle Auswertung der darin enthaltenen Informationen – nicht umgekehrt. Erst das Licht, danach die Augen. Das Licht verschwindet nicht aus der Welt, wenn es keine Augen mehr gibt, die es sehen können!
    Alle Menschen „sehen“ die Welt wohl ähnlich, aber selten genau gleich.

    Ebenso verhält es sich (vermutlich) mit dem individuellen Bewusstsein.
    Dass es Welteigenschaften gibt, jenseits von methodischen Erkenntnissen (messen, wiegen, beobachten etc.), ist inzwischen weitgehend anerkannt. Art und Umfang solcher „transzendenten“ Realitäten sind für uns aber weder erkennbar, noch vorstellbar. Eben weil sie jenseits unseres artspezifischen Erkenntnis(un)vermögens existieren.
    Mit der Entstehung des Universums kamen neben Raum+Zeit, Materie+Energie, Naturgesetzen+Konstanten (vermutlich) auch Informationen in die Welt. Welcher Art wissen wir nicht, nur dass sie „allumfassend“ sein müssen (das ganze Universum erfüllen und überall darin verfügbar sind).
    Die Evolution hatte schon früh in der Entwicklungsgeschichte des irdischen Lebens in den mehrzelligen Organismen ein elektro-chemisches Informationsnetz entwickelt (rudimentäre Nervenverbindungen). Die zunehmende Informationsverarbeitung in „höheren Organismen“ erforderte schließlich die Konzentration der Nervenbahnen in einem neuronalen Netzwerk – das Gehirn entwickelte sich so immer komplexer. Die allumfassende „Geistessphäre“ konnte sich schließlich auch in solcher Informationsdichte reflektieren – das individuelle Bewusstsein erwachte! (und mit ihm Gedanken und Denken)

    Also, zuerst gab es „Geist“, später erfolgte damit eine individuelle Auswertung der damit vermittelten Informationen – nicht umgekehrt. Erst die „Information“, danach das Gehirn. Der ‚überindividuelle Geist‘ verschwindet nicht aus der Welt, wenn es keine Gehirne mehr gibt, die ihn wahrnehmen können!
    Alle Menschen „denken“ die Welt wohl ähnlich, aber selten genau gleich.

    (vorläufiges) Ergebnis:
    „… woher unsere eigenen Gedanken überhaupt kommen …“
    Sie waren schon immer da, wurden vorher nur noch nicht gedacht!

    Quelle: https://www.facebook.com/notes/hoimar-von-ditfurth-naturwissenschaftler-und-publizist/wie-und-warum-erkennen-wir-die-welt/2928590123821605/

    Like

    1. fabiansweltblog

      Das Gehirn als eine Entwicklung, um die Gedanken zunächst empfangen zu können. Häufig ertappen meine Frau und ich mich mit genau gleichen Gedanken im Kopf. Das spricht unbedingt für einen gemeinsamen „Geist“. Ich muss da mal intensiver drüber nachdenken, bzw. Gedanken empfangen und selektieren. Lohnt sicherlich ein extra Blogeintrag 😉

      Like

Hinterlasse eine Antwort zu fabiansweltblog Antwort abbrechen